Sie oder ein*e Angehörige*r mussten ein Krisenereignis miterleben, beispielsweise einen Verkehrsunfall, eine Gewalttat, einen unerwarteten Verlust oder eine Naturkatastrophe? Egal ob Sie oder Ihre Angehörigen direkt daran beteiligt waren oder als Augenzeugen, Ersthelfende oder im Rahmen Ihrer beruflichen Tätigkeit indirekt von diesem Ereignis betroffen waren: Solche potentiell traumatischen Ereignisse können starke Anspannungen und Belastungen mit sich bringen und in manchen Fällen sogar zu einer psychischen Erkrankung, einer sogenannten Traumafolgestörung führen.

Eine so ungünstige Entwicklung Ihrer psychischen Gesundheit muss aber nicht zwangsläufig eintreten: Sie und Ihre Angehörigen verfügen über individuelle psychische Selbstheilungskräfte und Ressourcen, die Sie dabei unterstützen können, das Erlebte auf eine gesunde Weise in Ihre Lebensgeschichte zu integrieren. Diese gilt es zu aktivieren und zu nutzen. Die psychosoziale Versorgungskette in Deutschland soll Sie und Ihre Angehörigen unterstützen und vor einer langfristigen Chronifizierung einer eventuellen Traumatisierung bewahren:

  1. In den ersten Stunden nach dem Extremereignis wurden Sie möglicherweise bereits im Rahmen der psychosozialen Akuthilfe von einem Kriseninterventions- oder Notfallseelsorgeteam der Hilfsorganisationen oder Kirchen, von einem betrieblichen Peer-Support-Team oder direkt von einem/einer Notfallpsycholog*in unterstützt.

  2. In den ersten Tagen und Wochen nach dem Ereignis ist notfallpsychologische Beratung und Begleitung durch Beratungsstellen oder individuell für Sie tätige Notfallpsycholog*innen sinnvoll, um insbesondere bei starker Belastung oder beim Vorhandensein von Risikofaktoren (z.B. psychische Vorerkrankung, frühere Traumatisierung, problematisches soziales Gefüge) einer Verschlechterung der psychischen Gesundheit vorzubeugen, mögliche Fehlentwicklungen frühzeitig zu erkennen und auf die individuellen Bedarfe professionell zu reagieren.

  3. Wenn die psychische Belastung auch nach mehreren Wochen und Monaten nicht zurückgeht und sie auch langfristig Schwierigkeiten dabei haben sollten, wieder zurück ins Leben zu finden, kann es sein, dass bei Ihnen bzw. Ihren Angehörigen eine behandlungsbedürftige Traumafolgestörung vorliegt. In diesem Fall ist eine Traumatherapie durch eine*n approbierten Psychologischen Psychotherapeut*in bzw. eine*n approbierten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut*in stark angeraten.

 

       

 

 

Wie arbeiten Notfallpsycholog*innen?

Notfallpsycholog*innen fördern die individuellen Selbstheilungskräfte und die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von betroffenen Menschen in den Tagen und Wochen nach einem Extremereignis, um deren psychische Gesundheit trotz des Ereignisses  zu erhalten, sodass das Risiko einer späteren Traumafolgestörung reduziert wird. Ziel ist es, die eigene Selbstwirksamkeit aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen. Notfallpsycholog*innen führen keine Psychotherapie zur Heilung einer Traumafolgestörung durch.

In der Regel treffen sich Notfallpsycholog*innen mit ihren Klient*innen zu etwa 1-5 Sitzungen, im Abstand weniger Tage oder jeweils nach etwa einer Woche. Das kann im Rahmen von Einzelgesprächen stattfinden, oder aber auch mit Gruppen, die in ähnlicher Weise vom selben Ereignis betroffen sind (z.B. Familien, Kolleg*innen einer Abteilung, Personen einer Gefahrengemeinschaft). Dabei arbeiten sie häufig im sogenannten aufsuchenden Setting, das heißt, man trifft sich meist nicht in den Praxisräumen des/der Notfallpsycholog*in, sondern im persönlichen Umfeld der Betroffenen - beispielsweise zu Hause oder in einem separaten Besprechungsraum am Arbeitsplatz.

Im Rahmen dieser Sitzungen wird gemeinsam eine individuelle Strategie erarbeitet, wie mit dem Erlebten umgegangen werden kann, um die psychische Gesundheit zu erhalten. Dazu setzen Notfallpsycholog*innen Stabilisierungstechniken ein, erklären in verständlicher Weise die psychischen Abläufe im Gehirn nach Extremereignissen, aktivieren die Ressourcen der Klient*innen, beobachten systematisch den weiteren Verlauf der Belastung und vermitteln im Bedarfsfall individuell zugeschnittene Möglichkeiten einer psychosozialen oder traumatherapeutischen Weiterversorgung.

 

Hinweis: Notfallpsychologische Beratung zur Prävention von Traumafolgestörungen wird derzeit nicht von den Krankenkassen finanziert. Betroffene müssen individuell Kontakt mit einem/einer Notfallpsycholog*in aufnehmen und diese*n auf Rechnungsbasis beauftragen. Berufsgenossenschaften und Unfallkassen übernehmen teilweise die Kosten für eine notfallpsychologische Beratung - nehmen Sie hierfür unbedingt Kontakt mit Ihrer Berufsgenossenschaft bzw. Unfallkasse auf! Darüber hinaus gibt es weitere alternative Bezuschussungs- oder Finanzierungsmöglichkeiten. Ihre*e Notfallpsycholog*in wird Sie hierzu im konkreten Fall beraten.